Was wird normal sein „nach Corona“?

Im Blog der Remonstranten-Gemeinde „de Vrijburg“ in Amsterda, publiziert am 8.5.2020. Dieser blog steht unter dem Motto: „Liefde in tijden van corona“

Was wird normal sein nach Corona?

Von Christian Modehn, Berlin

Die Stunde des Übergangs vom Licht des Tages in die Dämmerung des Abends liebe ich besonders. Wir nennen diese Stunde in Deutschland „die blaue Stunde“. Jetzt habe ich Zeit, diese langen Momente der Verwandlung zu genießen.

Die blaue Stunde verbringe ich am liebsten auf dem Sofa. Ich lese nichts, ich höre keine Musik. Ich schließe die Augen, alles ist still. Aber ich will überhaupt nicht schlafen. Denn nun ist die Zeit der Tagträume gekommen. Und da muss der Geist wach sein. Irgendwie fühle ich mich dann wie ein gehorsamer Schüler des Philosophen Ernst Bloch: Er hat – wie Sigmund Freud – die Tagträume als Bilder des Zukünftigen über alles geschätzt. „Tagträume sind der Vorschein von möglichem Wirklichen“, ein Bloch-Zitat, das man nicht vergisst. Das Schöne ist, dass man sich an seine Tagträume erinnern kann, anders als bei den Träumen zur Nacht, die uns so schnell entgleiten.

Mein Tagtraum gestern war ein vernünftiges „Spiel“ mit dem Wort normal. Und dieses „Spiel“ lebt von Fragen, die ich einfach zulassen musste, selbst wenn sie provozierend sind.

Ich fragte mich: Ist meine Ruhe jetzt hier auf dem Sofa normal? Ich musste trotz Corona sagen: Ja, diese Zeit des Nachdenkens und der Phantasie, ist normal, nämlich menschlich. Und ich dachte voller Abwehr an die Zeiten, als ich von einem Termin zum anderen hetzte und für mich und andere so wenig Zeit hatte.

War also die Zeit vor Corona, normal? Ich dachte: In mancher Hinsicht war sie gut, war sie auch schön, wenn ich etwa an das herzliche Miteinander unter uns denke. Aber war unsere Gesellschaft normal, was die von Menschen erzeugte Klima – und Umwelt-Katastrophe angeht? War sie normal in ihrem Umgang mit den Flüchtlingen, auch auf Lesbos oder in Libyen? War sie normal, was die eigentlich akzeptierte Spaltung in Reiche und Arme, Essende und Hungernde, angeht? War sie normal, als sich Menschen umbrachten, bloß weil sie einen unterschiedlichen Glauben an Gott hatten?

Ich stoppte erst mal diese Fragen, weil ich antworten musste: Nein! Diese „alte“ Welt, „vor Corona“, war nicht normal.

Und ich gönnte mir eine Denk-Pause… Aber bald ging der Tagtraum als „Vorschein von möglichem Wirklichen“ wieder drängend weiter: Soll diese „alte“ Welt der Klima-Katastrophen, der permanenten Kriege, nach Corona wieder so weitergehen?

Ich hatte mich vom Sofa erhoben und rief ein lautes Nein in die Stille der Wohnung. Mein Mann blickte mich erschrocken an. Ich versuchte mich zu erklären: „Wir sollten alles tun, dass das alte Normale NICHT wieder zum neuen Normalen wird“. Und er sagte, leise, in die Stunde des abnehmenden Lichtes blickend: „Wollen das unsere Politiker? Will das die große Mehrheit der Bevölkerung? Und wer tritt für eine neue humanere Welt jetzt ein, für die Zeit nach dieser Corona-Pandemie?“

Erinnern: 75 Jahre Befreiung und Freiheit in den Niederlanden: Tage des Gedenkens am 4. und 5. Mai 2020

Ein Hinweis von Margriet Dijkmans van Gunst und Dik Mook am 2.Mai 2020

Am 4. und 5. Mai denken wir in den Niederlanden an die Opfer des 2.Weltkrieges und feiern die Befreiung von diesem Krieg. Wir halten inne und denken dabei auch ausdrücklich an die Verfolgung der Juden, oft auch an die Verfolgung von Homosexuellen, Roma und Sintis.

Jüdische Überlebende legen dann einen Kranz nieder an dem Denkmal auf dem Dam und erinnern an die Ereignisse an verschiedenen Orten, wo Juden deportiert wurden, u.a. an der Hollandsche Schouwburg.

Das „Nationale Komitee 4. und 5. Mai“ schreibt auf dessen Website: „Wir halten inne und denken an die Freiheit, die errungen wurde von Menschen, die dabei große Opfer gebracht haben. Wir feiern, dass wir seit 1945 wieder in Freiheit leben, in dem Bewusstsein, dass wir zusammen verantwortlich sind, Freiheit weiterzugeben an die künftigen Generationen“.

Interessant ist der Beitrag von Prinzessin Mabel auf dieser website. Sie schreibt am Ende ihres Beitrages:

„Aber wovon ich am meisten überzeugt bin, ist: dass Freiheit nicht erreichtet wird mit großen schönen Worten, sondern dass sie zustande kommt durch kleine konkrete Taten. Taten in unserem eigenen Umfeld, in unserem Leben. Taten, um großen und kleinen Konflikten zuvorzukommen. Taten, um Unrecht, Ungleichheit und Unterdrückung zu vertreiben. Taten, um deinen Mitmenschen wissen zu lassen, dass er oder sie zählt, genauso wie du selbst. Diese Taten , große und kleine, bilden die Basis für neue Kommunikation, also für neue Erzählungen, die wir mit einander teilen, die uns verbinden.

Der Dichter Leo Vroman sagt das so:

Komm heute mit Erzählungen

Wie der Krieg verschwunden ist

Und wiederhol es hundertmal

Alle Zeiten werd ich weinen“.

Dass das „National Comité 4. und 5. Mai“ niemals sehr deutliche Ausführungen gemacht hat über den Rechtspopulismus, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass man niemanden vor den Kopf stoßen will, auch nicht den politisch „rechten Teil“ unseres Landes…

In den vergangenen Jahren wurde oft versucht, das Thema des 4. und 5. Mai weiter zu verstehen als nur „die Befreiung von den Deutschen“. Aber das ist nur in einem begrenzten Umfang gelungen.

Immer wieder wird dieser Erinnerungstag eingegrenzt auf das Ende des 2. Weltkrieges und die Tatsache, dass wir, von den Deutschen befreit, nun vor 75 Jahren, freie Menschen sind und in Freiheit leben können. Diese Einschätzung hat auch damit zu tun, dass nun das Gedenken an den 4. und den 5. Mai sehr stark miteinander verbunden wurden: Der Gefallenen des 2. Weltkrieges wird am 4. Mai gedacht, die Freiheit wird am 5. Mai gefeiert.

Es gibt gute Initiativen, das Thema breiter aufzustellen, wie die jährliche gratis Theater Vorstellungen „na de Dam“ am Abend des 4. Mai, die das Thema Freiheit behandeln und dann die „Freiheitsmahlzeiten“ am 5. Mai mit „alten“ und „neuen“ Niederländern, mit Jungen und Alten. Diesmal werden am 5. Mai wegen der Corona-Krise nur Dosen mit Suppe (soepblikken) ausgeteilt. Eine interessante Initiative!

In diesem Jahr werden, wie schon angedeutet, wegen der Corona-Krise die Erinnerungen und die Festlichkeiten anders sein als vorher. Ohne Publikum wird die Erinnerungsfeier am 4. Mai auf dem Dam in Amsterdam sein, an dem früher viele Menschen teilnahmen. Nun wird dieses Gedenken ohne Publikum stattfinden. Unser König wird eine Rede halten, was er noch nie vorher getan hat am 4. Mai.

Am 5. Mai sollte im Kunstmuseum in Den Haag die Rede zum 5. Mai Vortrag von Angela Merkel gehalten werden. Leider kann das wegen der Verhältnisse jetzt nicht möglich sein und es werden sich bekannte Niederländer über die sozialen Medien zu Wort melden.

Wir nehmen als Kirchen-Gemeinde „Vrijburg“ (Remonstranten und freisinnige Protestanten) teil an der „Aktion Freiheitsmahlzeit“. Wir bringen dann als Gemeinde am 5. Mai die Suppen zu den Menschen, die unsere Hilfe besonders brauchen in diesen Zeiten.

 

Liebe in Zeiten von Corona: Liefde in tijden van Corona: Ein täglicher Blog der Remonstranten in Amsterdam

In Amsterdam arbeiten die „freisinnigen Protestanten“ und die Remonstranten in einer Gemeinde zusammen: In der schönen Kirche „de Vrijburg“  im Süden der Stadt. Die Gemeinde hat sich schon sehr früh entschlossen, eine besondere Initiative zu starten: Sie hat Gemeindemitglieder und Freunde eingeladen, ihre persönlichen Eindrücke, ihre Hoffnung und Ängste in diesen „Corona-Zeiten“ aufzuschreiben und in einem blog zu verbreiten. Dik Mook hat meinen Beitrag übersetzt, der heute dort  als Nr. 25 dieser Reihe, erschienen ist, und der allen Niederländisch Lesenden, Sprechenden, vorgestellt wird.

Die weiteren aktuellen Kommentare zum Thema können bestellt werden über: liefdeintijdenvancorona@vrijburg.nl

Liefde in tijden van Corona – Bijdrage van Christian Modehn

Op reis door mijn huis

“Een hartelijke reisgroet!”

Veel meer schreven we vroeger niet op de bekende ansichtkaart; er was te weinig ruimte.

Nu kan ik wat uitvoeriger schrijven. En serieus: ik reis door mijn huis. Ik doe er echte ontdekkingen, beleef momenten van vreugde, van stilte, hoogtepunten.

Ik vertrek ’s ochtends. Ga eerst van mijn bureau naar de boekenkast. En ik sta versteld, bijna beschaamd: zoveel boeken die ik nog niet heb gelezen. Ik kocht ze uit interesse. Kijkboeken, catalogi van tentoonstellingen. Ik pak de „aquarellen van Cézanne“ en ga zitten. Ik heb toch de tijd. Met een paar kleuren schildert hij de essentie van het berglandschap van Sainte-Victoire, Provence. Er rijst een vraag: wat betekent het voor mij; word ik ook meester van de eenvoud, zoals Cézanne?

Ik reis verder. In de volgende kamer hangt een uitbundig schilderij, ‚herfstlandschap in de Harz‘, een erfstuk van mijn tante Maria. Wat hield ze van dit schilderij. Ik ga zitten, zie haar enthousiasme voor me, ben dankbaar en blijf niet alleen vóór het schilderij hangen, maar stap er ook in: ik bèn in de Harz.

Mijn man roept me uit de keuken ​​voor koffie. „Land van herkomst El Salvador“ staat op het pak. We praten niet over de verstandige dwang om thuis te blijven, maar over El Salvador, de burgeroorlog, uitbuiting, de armen, basisgemeentes.
En we zwijgen.
Ik vraag: “Waarom gaat het ons, ondanks alles, toch nog zo goed?”
We reizen nu samen verder, wandelen naar een hele rij kleine Boeddhabeeldjes die vredig naast een serie Jezusfiguren staan. “Eigenlijk is onze meditatiehoek een soort toevluchtsoord”, zegt hij. Ik vraag: “Wat zouden Boeddha en Jezus ons nu te zeggen hebben?”

Misschien zitten we wel een uur stil op de bank. De tijd staat stil. Helemaal in het hier en nu.

Dat gaan we vaker doen, uitstapjes in huis.

Christian Modehn, Berlijn (vertaling Dik Mook)

PS.: Ik kreeg inspiratie voor „Op reis door mijn huis“ van de Franse schrijver Xavier de Maistre (1763-1852), uit zijn boek „Voyage autour de ma chambre“.

 

Meine Biographie und meine Bibellektüre

Ein neues Buch von 11 Pastorinnen und Pastoren de Remonstranten – Kirche

Von Christian Modehn

Wenn die Lektüre der Bibel nicht nur der Information dient und etwa nur eine allgemeine Antwort auf die sachliche Frage fordert: „Was sagte denn Jesus tatsächlich in seiner Bergpredigt?“, wenn also die Bibel wie ein Dialogpartner zum heutigen Leser inspirierend sprechen soll und der Leser dann den Text dreht und wendet und erwartungsvoll befragt: Dann ist der Moment gekommen, dass man von einer „autobiographischen Bibellektüre“ sprechen sollte. Ein Mensch von heute mit seinen persönlichen Fragen liest – vielleicht zufällig – einen kurzen Bibeltext, begegnet dort – überraschend – einer leibhaftigen Person und erkennt in der Erzählung von einst sich selbst wieder. Und gerät ins tiefere Suchen nach sich selbst. Oder er/sie wird durch die Erzählung in seinem/ihren eigenen Lebensentwurf bestätigt, meist aber erschüttert. Bei all dem gilt es natürlich den kritischen Verstand zu bewahren!

Es ist schon ein Stückweit Offenbarung, Freilegung“, der persönlichen „privaten“ Lebensgeschichte, wenn 11 Pastorinnen und Pastoren der protestantischen Remonstrantenkirche ihr Leben, ihre Geschichte, mit der speziellen Lebensproblematik mit einem Bibeltext konfrontieren und aus der Begegnung nicht nur Erkenntnisse, sondern heilsame Weisheit entnehmen. Und diese auch mitteilen.

So geschieht es in dem neu erschienen Buch „Mijn held en ik“. „Autobiografisch Bijbellezen“: Da wird die sehr persönliche Aussprache der Pastorinnen und Pastoren über „ihre“ biblischen Gestalten Simson oder Leah, Ezechiel oder Johannes dem Täufer usw. vorgestellt. Diese biblischen Gestalten werden zu inspirierenden „Helden“ für heute. Manchmal werden förmlich zur Verstärkung auch andere poetische Texte hinzugezogen, wie etwa die Gedichte von Tomas Tranströmer.

Dass diese Form der Begegnung von Bibel und Leser auch für Gruppengespräche geeignet ist, wird dann im Schlusskapitel des Buches gezeigt.

Für Menschen, die Niederländisch lesen können, ist dieses Buch sicher eine gute Anregung: Sich selbst besser zu verstehen in der Auseinandersetzung mit den Begegnungen anderer, eben biblischer Gestalten. Denn auch sie erlebten oft wahre Dramen, sie waren zerrissen zwischen dem eigenen Wollen und einer göttlichen Weisung. Und fanden eigene Antworten, auch spirituelle Antworten.

Die Voraussetzung für diese Bibellektüre mit der Auswahl eines „Helden“, der mich dann weiter bringt, ist die Erkenntnis: Die Geschichten von Gestalten der Bibel gehören nicht einer untergegangenen Vergangenheit an! Vieles ist vielmehr förmlich „gleichzeitig“ mit uns. Diese Gestalten, „meine Helden“ – für eine gewisse Zeit – gehören als Menschen zu uns heute!

Als deutscher Leser wundert man sich vielleicht, dass der Begriff „Held“ im Niederländischen noch so verwendet werden kann. Früher hätte man in Deutschland vielleicht eher von Vorbildern (auch problematisch) gesprochen… Was „Helden“ angeht, sind wir in Deutschland eher sprachlos, „begriffslos“ geworden…Sicher ist dies eine Folge der Nazi – Zeit, die ja bekanntlich auch die Sprache vergiftete.

Das Buch lädt ein zum weiteren Nachdenken: Kann ich mir einen Apostel als meinen Held wählen, vielleicht sogar Paulus? Oder kann sogar Jesus von Nazareth in einer bestimmten Hinsicht, in seiner bestimmten Lebenspraxis, mein Held sein? Ist Glauben vielleicht die Verbindung, wenn nicht Bindung an einen „Helden“? Klingt komisch vielleicht: Aber warum kann Jesus von Nazareth nicht auch und vor allem mein Held, unser Held, werden? Der Jesus, der den Frieden lebte; der die Frauen liebte; den Jesus, der so viele Gleichnisse lehrte…

„Mijn Held en Ik. Autobiografisch bijbellezen“. Herausgegeben von Bert Dicou und Koen Holtzapffel. Verlag Skandalon, mit Illustrationen von Bert Kuipers. 176 Seiten, 16,95 EURO. Mit Beiträgen von: Jan van Belle, Fride Bonda, Sigrid Coenradie, Bert Dicou, Koen Holtzapffel, Lense Lijzen, Evelijne Swinkels-Braaksma, Joep de Valk, Corrie Vis, Alleke Wieringa en Sandra van Zeeland-van Cassel.

Christian Modehn

Was wichtig ist für Remonstranten – eine Perspektive fürs Jahr 2020

Im Weihnachtsgruß 2019 hat das Leitungs-Team der Remonstranten in Utrecht einmal mehr deutlich gemacht, was das eigene theologische Profil bestimmt.

Was uns Remonstranten (ver)bindet,

unsere Überzeugung,

dass Glauben auf ganz verschiedene Weise möglich ist. Je nach Überzeugungen, Lebensformen und Erlebnissen, je nach dem Umgang mit den Quellen unseres Lebens oder der Art, wie wir uns zeigen. Wir glauben, dass wir Gott und den anderen Menschen auf unterschiedliche Weisen ehren und dienen können.

unser Verlangen,

von Bedeutung zu sein für Menschen, die auf der Suche sind nach einer Vertiefung im Leben und einer Verbindung mit dem Lebendigen.

unser Wunsch,

dass wir in unserem gemeinsamen Suchen Grenzen überschreiten, Grenzen zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen, zwischen den Erzählungen von unseren spirituellen Quellen und den Erzählungen des alltäglichen Lebens, zwischen dem Christentum und anderen Religionen und Weltanschauungen, zwischen Glauben, Spiritualität und Entdeckung des Lebenssinns.

unser Verlangen,

um als Glaubensgemeinschaft in aller Vielfalt in lebendiger Bewegtheit zu bleiben und auch bisher unwegsame Wege zu gehen und so neue Verbindungen, Kontakte, zu schaffen.

unsere Überzeugung,

dass auch unsere Zeit Formen der Verbindung und Gemeinschaft nötig hat, aber diese sollen offen, einfach (leicht) und nach Art von Netzwerken sein, einfach so, wie „ein Dach über einigen Köpfen“.

unsere Erkenntnis,

dass eine geistig und seelisch lebendige Gemeinschaft noch etwas anderes ist als eine Organisation, die wir mit einander aufgebaut haben.

Übersetzung; Christian Modehn

Religionsphilosophischer Salon anläßlich des 10jährigen Bestehens des „Forum der Remonstranten in Berlin“

Im Jahr 2020 starten wir mit einem religionsphilosophischen Salon diesmal am DONNERSTAG, den 9. Januar 2020 um 19 Uhr, in der Galerie FANTOM, Hektorstr. 9.
Unser Gesprächsthema: Das NEUE: Gibt es noch für uns das Neue im emphatischen Sinn? Haben wir die Kraft, das Neue als das Bessere und Gerechte zu leben und durchzusetzen? Unter welchen Bedingungen ist das Alte besser als Neue? Was ist der Sinn von Utopie?

Dieser religionsphilosophische Salon ist eine Erinnerung daran, dass vor 10 Jahren, 2009 im Januar, das „Forum der Remonstranten in Berlin“ gegründet wurde.

Herzliche Einladung mit der Bitte um Anmeldung an: christian.modehn@berlin.de Ein Gesprächsthema, das stark von eigenen Lebens-Erfahrungen geprägt sein kann.Es geht auch um „Lebensweisheit“, die wir miteinander teilen…Das gehört ja immer in einen philosophischen Salon.

Am Freitag, den 22. NOVEMBER 2019 um 19 Uhr fand wieder ein religionsphilosophischer Salon statt, in der Galerie Fantom, Hektorstr.9.
Unser Thema: Was bedeutet „Apokalypse“ und „apokalyptisch“? Der Untertitel war: „Unsinn und Sinn der Apokalypse“, das deutet schon die kritische Haltung zum Thema an. 18 Teilnehmer waren bei einem intensiven, selbstverständlich auch kontroversen Austausch dabei. Einige Hinweise zum Thema, auch als Begrenzung eines fundamentalistischen apokalyptischen Denkens, können Sie hier lesen.

 

Die Remonstranten – eine Geschichte von „Verlierern“?

Über einen Beitrag von Peter Nissen, Professor für Ökumene an der Radboud-Universität von Nijmegen und Remonstranten Pastor in Oosterbeek NL.

Von Christian Modehn

Peter Nissen, Ökumene Professor und als Historiker auch Spezialist für die Geschichte der Remonstranten, hat in diesem Jahr (2019) in der Zeitschrift ADREM 11 ausführliche Beiträge geschrieben über die Synode von Dordrecht und die Folgen. Vor 400 Jahren kam es dort bekanntlich zur Verwerfung (und kurzzeitig auch zur Verfolgung) der freiheitlich – humanistisch orientierten Gruppe der Remonstranten-Theologen durch die offizielle mehrheitliche calvinistische Kirche in den Niederlanden.

So entstanden damals zwei Kirchen: Die streng orthodoxe calvinistische Kirche der großen Mehrheit und die zahlenmäßig kleinere, aber explizit freiheitliche, wir würden heute sagen liberal-theologische, Remonstranten Kirche. Sie trägt bis heute den Titel „Bruderschaft“. Damit ist selbstverständlich keine antifeministische Aussage gemacht!

Was ist wichtig in dem Beitrag von Peter Nissen, der meines Erachtens sehr erhellend ist und weitere Debatten anregen könnte:

  1. Auch Kirchengeschichte wurde und wird wohl noch immer aus der Perspektive der Sieger geschrieben.
  2. Die Verlierer in den Auseinandersetzungen um den „wahren Glauben“ werden kaum wahrgenommen. Ihre Wahrheit wird ausgeblendet.
  3. Die Remonstranten sind in der Sicht von Peter Nissen historisch gesehen die Verlierer. Durchgesetzt haben sich die „orthodoxen“, streng calvinistischen Kirchen.
  4. Noch immer besteht gelegentlich die falsche Meinung, so Peter Nissen, die Remonstranten seien eine Variante der Reformierten (Calvinisten). Der Titel als Selbstbezeichnung „remonstrantisch-reformierte“ kommt ja noch vor. Die Remonstranten sind etwas Eigenes, mit eigener Theologie.
  5. Es gilt, so Prof. Nissen, sich von der Perspektive zu befreien, die Gewinner (die Reformierten) hätten recht, die Remonstranten unrecht. Diese verbreitete Denk-Richtung nennt er „Tunnelblick“.

Was bleibt also, meiner Meinung nach?

Die Remonstranten als eigenständige Kirche (als liberal-theologische, nicht-fundamentalistische Kirche) sind heute dringender und wichtiger denn je. Denn angesichts globaler Ängste geht das religiöse Interesse sehr vieler Menschen in die Richtung evangelikal, pfingstlerisch, fundamentalistisch charismatisch etc.

Dass es eine andere Gestalt des christlichen Glaubens gibt, eben eine freisinnige christliche Kirche, die offen, dialogbereit, tolerant, nicht-dogmatisch ist und bleiben will, dies muss wohl noch viel deutlicher gesagt werden. Auch in Deutschland.

Und deutlich werden sollte dann: Auch diese liberal-theologischen Kreise und Gemeinden haben ihren eigenen Charme, ihre eigene menschliche Wärme! Die braucht man nicht bei den enthusiastischen Fundamentalisten zu suchen.

Wichtig wäre nur, in meiner Sicht, wenn sich die Gottesdienste (am Sonntag) deutlich von den üblichen reformierten Gottesdiensten unterscheiden würden, wenn sie auch liturgisch mehr eigenes und neues Profil erhielten.

Und die tatsächlich ja aus Flüchtlingen gegründete Remonstranten – Kirche könnte meines Erachtens deutlicher noch ihr politisches Profil zeigen im praktischen Einsatz für die Menschenrechte.

Copyright: Christian Modehn

Rembrandts Porträts von Remonstranten: Eine Ausstellung im Rijks Museum Amsterdam

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die niederländische Kirche der Remonstranten (liberal-theologisch, freisinnig, ökumenisch) feiert in diesem Jahr ihr 400 jähriges Bestehen.

Als der Organisator dieser zahlenmäßig immer kleinen, theologisch aber immer inspirierenden, und manchmal auch provozierenden Kirche gilt Johannes Uytenbogaert. Er musste sich nach der Synode in Dordrecht, die zur Trennung von der sehr konservativen calvinistischen Kirche führte, nach Antwerpen flüchten.

Später haben Rembrandt van Rijn und Jacob Becker ihn und andere Remonstranten in Porträts lebensnah – lebendig gestaltet. Diese Bilder sind noch bis zum 29. September 2019 im „Prentenkabinet“ des Amsterdamer Rijksmuseums zu betrachten.

Uytenbogaert war u.a mit Hugo Grotius, dem berühmten Rechtsphilosophen und Sympathisanten der remonstrantischen Theologie, befreundet.

Um 1630 konnten die Remonstranten in den Niederlanden relativ sicher leben. Der frühere theologische Streit um die Freiheit des Menschen hätte das Land fast in einen Bürgerkrieg geführt.

Die Remonstranten traten für die Freiheit des Menschen, auch in seinen Glaubensentscheidungen, ein, sie wehrten sich also gegen eine allumfassende Prädestination durch Gott… Sie sind gewissermaßen eine humanistische christliche Kirche! Das ist in der weiten christlichen Ökumene eine Ausnahme! Bekanntlich sind zahlenmäßig und finanziell besonders stark die Pfingstgemeinden und Evangelikalen, sie sind sozusagen der „dialektische Kontrast“ zur remonstantischen theologischen Offenheit.

Interessant und für die Zukunft vielleicht inspirietend ist: Die ersten Remonstranten Gemeinden in Holland waren Hausgemeinden.

Die Remonstranten wurden als Kirche sozusagen im Exil, von einem Flüchtling, organisiert.

Die Remonstranten sind die ersten, die Aufklärung und christlichen Glauben zusammenführen.

Wer sich die Remonstranten Porträts von Rembrandt ansehen will:

Eine andere Publikation zeigt auch das Porträt Uytenbogaerts mit einem Buch zu seiner Linken. Dies ist nicht die Bibel, das ist bemerkenswert, sondern es handelt sich offenbar um theologische Notizen, vielleicht um eine kurzgefasste Kirchenordnung der Remonstranten. Über die verschiedenen Aktivitäten der Remonstranten informiert die Zeitschrift ADREM.

Bekanntlich haben die Remonstranten bis heute kein für alle Mitglieder und Freunde verbindliches Glaubensbekenntnis. Und sie wollen das auch nicht um der je persönlichen spirituellen Freiheit willen. Lediglich eine kurze, sehr allgemeine und offene „Grundsatz – Erklärung“ gilt als verbindliche Orientierung: „Die Remonstrantische Bruderschaft ist eine Glaubensgemeinschaft, die im Evangelium von Jesus Christus verwurzelt ist. Und die getreu dem Grundsatz von Freiheit und Toleranz Gott ehren und dienen will“.

Copyright: Christian Modehn, Remonstranten Forum Berlin

Neue „Allgemeine Sekretärin“ der Remonstranten

Die Remonstranten haben als freisinnige christliche Kirche keinen „Bischof“ als obersten Repräsentanten, sie haben einen “Algemeen Secretaris“, eine Art „Generalsekretär“ würde man auf Deutsch sagen. Am 15. Juni 2019 wurde Annemarie Gerretsen in diese Funktion gewählt: Sie wurde 1969 geboren, ist Mitglied der Gemeinde in Rotterdam und zur Zeit als Projektmanagerin an der Universität Delft tätig. Zum ersten Mal ist also keine Theologin in der Funktion des „Algemeen Secretaris“ tätig. Annemarie Gerretsen ist in einem Moment gewählt worden, in der die Remonstranten intensiv über ihren weiteren Weg, auch über mögliche Neuorientierungen, in der nahen Zukunft nachdenken.

Christian Modehn

 

 

Feier zum 400. Bestehen der Remonstranten am 14.9.2019 in Amsterdam

400 Jahre Remonstranten: Veranstaltung am 14.9.2019

Am 14.9.2019 findet eine Art „Schlussveranstaltung“ zum 400. Bestehen der Remonstranten Kirche statt: Und zwar in der alten, jetzt schon „ehemaligen“ Kirche „de rode hoed“ in Amsterdam, Keizersgracht 102. Bekanntlich durften die Remonstranten als nur offiziell von den Calvinisten geduldete Konfession im 17. Jahrhundert ihre Kirchen lediglich als „versteckte Kirchen“ bauen (wie die Katholiken in den Niederlanden auch). D.h.: Hinter der Fassade eines bürgerlichen Hauses verbarg sich seit 1629 der Gottesdienstraum. Seit einigen Jahren ist der „rode hoed“ (der „Rote Hut“ als kleines Erkennungssymbol an Fassade) ein im ganzen Land bekanntes offenes Kulturzentrum.

Die „Studentenecclesia“, eine selbstständige ökumenische Kirche, gegründet von dem Theologen Huub Oosterhuis, feiert dort in dem schönen Kirchsaal sonntags ihre Gottesdienste.

Die Remonstranten in Amsterdam verfügen – zusammen mit den „Freisinnigen Protestanten“ – über die große Kirche mit Gemeindezentrum „de Vrijburg“.

Am 14.9. 2019 eröffnet um 16.00 der Remonstranten – Theologe Peter Nissen, Nijmegen, die Veranstaltung. Es gibt anschließend einen Vortrag des in Leuven, Belgien, lehrenden Theologen und Autors Rik Torfs: Er schreibt auch oft über den Zustand der Kirchen und Religionen: Zum Katholizismus sagte er kürzlich: “Allein eine Reformation kann die römisch-katholische Kirche noch retten“. Was wird er über die Remonstranten heute sagen? Dann folgt ein Vortrag der Theologin Christa Anbeek vom Seminar der Remonstranten-Theologie an der „Vrije Universiteit“ Amsterdam. (Wohlgemerkt: Vortrag bedeutet: Nicht länger als 35 Minuten sprechen!)

Zwischendurch: musikalische Intermezzi, am Abend ein Buffet…

Christian Modehn

Kommentar eines Lesers aus Berlin:

Kommentar: 
„Allein eine Reformation kann die römisch-katholische Kirche noch retten.“
Na, das ist ja ein starker Spruch.