Spiritualität in Berlin – eine gut besuchte Veranstaltung

Spiritualität in Berlin – die erste Zusammenkunft: Ein erster Erfolg

17. Sep 2011 | von CM

Welche Spiritualität braucht Berlin?

Das Gespräch über „Spiritualität in Berlin“ im Radialsystem, AGORA, am Mittwoch, den 14. September 2011, war sehr gut besucht: Mehr 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dabei. Wir werden auf diese Veranstaltung noch ausführlicher Weiterlesen →

Paul Tillich – Anregungen für eine freisinnige Theologie

Freisinnige Theologie („liberale Theologie“) kann sich immer wieder einiger Vorläufer versichern, die sich um eine vernünftige Begründung des Glaubens bemühten; die das weite Feld der Kulturen befragten hinsichtlich des „Unbedingten“; kurz: die einen modernen, eine aufgeklärten christlichen Glauben in nachvollziehbarer Sprache darstellten. Diese Theologen hatten den Mut, uralte Weiterlesen →

Eine lange Nacht der Theologie: Amsterdam kreativ

Vor kurzem wurde in Amsterdam ein besonderes Event gefeiert, an dem auch der Allgemeine Sekretär der Remonstranten Kirche, Tom Mikkers, inspirierend und organisierend dabei war.

 

Kreatives Amsterdam:

Die erste Nacht der Theologie

Von Christian Modehn

Die Amsterdamer lieben die Nacht. Wer hätte das gedacht? Nun haben auch die Theologen aller Konfessionen (!) ihre Liebe zur späten Stunde entdeckt: Sie haben in Amsterdam die „Erste Nacht der Theologie“ Ende Juni gefeiert. Inspiriert wurden sie dabei von den sehr erfolgreichen und längst etablierten „Nächten der Philosophie“ (immer im April!)  und  den „Nächten der Poesie“. Spät am Abend haben auch die Theologen Weiterlesen →

Ostern: Aus dem Schatten heraustreten

Aus dem Buch. Vieren en brevieren, der remonstrantischen Theologin Christiane Berkvens – Stevelinck und des protestantischen Theologen Sytze de Vries.

Ein meditativer Hinweis auf OSTERN:

Ostern

Eine Zeit, um aus dem Schatten herauszutreten

Alles Lebendige besteht dank der Gunst der Sonne. Kein Leben gedeiht im Dunklen.

Mit dem Frühling wird die künftige Ernte sichtbar. Die ersten Getreidekörner reifen. Ostern ist das Fest der „Erstlinge“ der Ernte.

Unwiderruflich ist der Tod von allem, was lebt. Der Tod des Körpers ist eine Realität. Unsterblich ist niemand. Unabwendbar kommt der Schatten des Todes in Sicht.

Jedoch werden wir aufgerufen, um aus dem Schatten des Todes mit seinen vielfältigen Erscheinungsformen heraus zu treten. Um zu leben! Aber was bedeutet das?

Mehrere Male fahren wir in unserem Leben über Flüsse des Todes. Und dabei geraten unsere eigenen Ufer aus dem Blick. Ostern lässt uns die Landungsbrücken wieder sehen, wo wir unseren Fuß wieder an Land setzen können, um neu zum Leben zu kommen.

Wir dürfen so sein, wie wir sind, im vollen Licht des Lebens. Immer wieder neu wird uns diese Freiheit angeboten. Stets von neuem dürfen wir aus dem Schatten zum Vorschein kommen. Der Tod hat seinen Stachel verloren, denn die Liebe hat den Tod überwunden. Erklärungen zu suchen, führt da nicht weiter. Erstaunen und Ehrfurcht wohl.

Die Auferstehungserzählungen im Alten wie im Neuen Testament fassen den Sieg des Lebens über den Tod in Worte. Um welches Leben, um welchen Tod es da geht, bleibt offen. Im Mittelpunkt steht die Kraft, die wir im Geheimnis der Auferstehung erkennen und erleben. (Übersetzung Christian Modehn)

Texte zur Meditation:

Markus, 5, 35- 43

Johannes, 20, 1- 18

Apostelgeschichte, 5, 17 – 25.

Wenn die Religion die Vernunft respektiert. Ein Vortrag von Prof. Wilhelm Gräb

Wilhelm Gräb

Wenn Religion die Vernunft respektiert. Perspektiven liberaler Theologie

(Referat auf dem Berliner Forum der Remonstranten und dem

Religionsphilosophischen Salon am 18.1.11)

Liberale Theologie ist Theologie nach der Aufklärung. Sie ist getragen von dem Grundimpuls aller Aufklärung, dass ein jeder sich in allen Angelegenheiten des Lebens seines eigenen Verstandes zu bedienen habe, auch in den Angelegenheiten der Religion. Damit sind die Sinnfragen des Lebens gemeint, das, worin sich uns die Daseinszwecke versammeln, was uns am Leben hält und unser Dasein mit Inhalt füllt.

Liberale Theologie hat Konsequenzen für die Theologie selbst, für die Reflexionsgestalt des christlichen Glaubens. Sie hat aber auch Konsequenzen für die gelebte Religion, für die Praxis der Frömmigkeit und der Spiritualität. Und sie hat schließlich Konsequenzen für die Sozialgestalt protestantischen Christentums, für die Auffassung von der Kirche. In dieser dreifachen Hinsicht will ich einige einführenden Worte sagen, bevor wir dann in die Diskussion eintreten.

1. Vernünftige Theologie

Eine liberale, vernünftige Theologie sucht die Vermittlung des christlichen Glaubens mit dem modernen Denken in Wissenschaft und Kultur. Der Glaube an Gott muss vor dem Wissen und den Wissenschaften nicht zurückschrecken. Sofern der Glaubende dazu findet, das Wissen zu achten und an seiner Förderung mitzuarbeiten, kann er sich vielmehr durch den Wissensfortschritt in seinem Glauben geradezu bestätigt finden. Denn auch das Wissen hat seine Grenzen, deren gerade derjenige ansichtig wird, der möglichst viel wissen will. Worin schließlich ist das Vertrauen in das Wissen eigentlich begründet? Wie kommt es, dass wir auf der Basis unseres Wissens erfolgreich in dieser Welt handeln können, dass also die Dinge in der Welt tatsächlich unserem Wissen von der Welt entsprechen und sie sich aufgrund dieser Entsprechung durch Technik einrichten, verändern und steuern lassen? Warum das so ist, wissen wir letztendlich nicht. Wir sind, wenn wir handeln, vielmehr darauf angewiesen, auf unser Wissen zu vertrauen und auf einen Erfolg unseres, auf dieses Wissen gestützten Handelns, zu hoffen. Könnten wir den Grund der Ermöglichung unseres Wissens vor uns bringen, dann wäre er zu seinem Gegenstand geworden und gerade nicht als dasjenige erfasst, was uns die Gegenstände in ihrer Zugehörigkeit zur Welt wahrnehmen, in ihren Sinnzusammenhängen bestimmen und uns absichtsvoll, auf Technik gestützt, mit ihnen umgehen lässt. Wir können, wie leicht einzusehen ist, die Folgen unseres Wissens und damit die Folgen des durch unser Wissen ermöglichten Handelns in der Welt nie vollständig überblicken und somit auch nicht im Ganzen wissend vor uns bringen.

Wenn wir daher nach dem Grund des Vertrauens in unser Wissen und nach der Rechtfertigung der Hoffnung auf die Erfolge unseres Handelns in der Welt fragen, stoßen wir darauf, dass wir eine einzigartige Beziehung zwischen uns Menschen und der Welt in Anspruch nehmen. Es ist diese grundfügende Beziehung zwischen Mensch und Welt, die es macht, dass uns unser Dasein als zugehörig zur Welt in absichtsvoller Weise bewusst ist. Und viel spricht dafür, eben diese Einheit aller Gegensätze, mit der uns die Welt als Ganze entgegentritt, mit dem Wort ‚Gott’ zu bezeichnen und in ihrer lebensführungspraktischen Relevanz zu deuten. Weil ein Gott ist, der die Zusammenstimmigkeit unseres Denkens mit der uns gegenüber stehenden Welt stiftet, können wir Bestimmtes in ihr wissen und zielorientiert in ihr handeln. Diesen Gott können wir nicht wissen, denn wir hätten ihn damit zu einer Tatsache unter den vielen anderen Gegenständen des Wissens herabgezogen. Diesen Gott, der die Einheit und damit den Sinn des Ganzen der uns wissend und handelnd zugänglichen Wirklichkeit garantiert, können wir nur glauben. Auf diesen Gott können wir nur vertrauen. Für dieses Vertrauen gibt es allerdings gute Gründe und verschiedene Wege, auf denen es sich einstellt und zu finden ist.  Diese Wege führen hinein in unser leib-seelisches Dasein, in unsere Emotionen und Phantasien, in alle unsere mentalen Zustände, Erfahrungen und Tätigkeiten.

Liberale Theologie zielt darauf, dass es letztendlich vernünftig ist, zu glauben, weil nur der Glaube und nicht das Wissen auf den Sinn des Ganzen der Welt und unseres endlichen Daseins in ihr vertrauensvoll auszugreifen vermag. Liberale Theologie betont genauso aber die Zeitbedingtheit der überlieferten Dogmen und Glaubenslehren, die historische Welt auch der Bibel. Sie unterscheidet zwischen dem Glaubensgrund, den sie in der persönlichen Bindung an Jesus Christus, dem mit Gott bedingungslos verbundenen Menschen, dem inkarnierten Gott, erkennt und dem zeitbedingten, somit wandelbaren Glaubensausdruck. Die Sprache des Glaubens ist einer jeden Gegenwart gemäß neu zu finden und nicht durch die biblischen Texte bzw. die altkirchlichen Dogmen oder die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts normativ fixiert. Liberale Theologie unterscheidet zwischen dem Glauben, der ein persönliches Vertrauensverhältnis zu Gott ist und dem Glaubensausdruck, der den religiösen Kommunikationsbedingungen einer jeden Zeit gemäß zu entwickeln ist. Auch christliche Lehre und die Theologie geraten auf die Seite der zeitbedingten Artikulation und Reflexion des persönlichen Glaubens. Wenn sich in der kirchlichen Lehre und der wissenschaftlichen Theologie die persönliche Frömmigkeit einer bestimmten Gegenwart nicht mehr gedeutet finden sollte, dann drängt liberale Theologie auf zeitbedingte Umformungen in Lehre und Theologie.

Dass die Theologie im Rechtfertigungsglauben den Grund individueller Freiheit erkennt, gehört zum entscheidenden Erbe liberaler Theologie. Denn es bedeutet, den Glauben an das Evangelium, dass Gott Liebe, Vergebung, der Grund der Freiheit ist, als den Aufgang eines durch diese Werte bestimmten Verständnisses menschlicher Existenz zu erkennen. In der Tradition liberaler Theologie führt vom Glauben an das Evangelium kein direkter Weg zu gegenständlichen Aussagen über Gott und sein Offenbarungshandeln. Glaube ist überhaupt kein Wissen, weder über Gott noch über sein Handeln in der Welt, sondern ein Vertrauen, das zur Kraftquelle in der Bewältigung des Lebens wird. Mit dem Gott des Evangeliums lässt sich nicht die Welt erklären lässt, sehr wohl aber eine fundierende Daseinsgewissheit und zielbewusste Lebensorientierung gewinnen. Dieses liberaltheologische Credo befreit die Theologie von den unversöhnlichen Konflikten mit der Wissenschaft. Der Wissenschaftler kann gelassen dem Sachverhalt begegnen, dass die wissenschaftliche Welterkenntnis und die aus ihr folgende technische Naturbeherrschung ebenso ohne Gott auskommen wie die politisch-staatlichen Rechtsverhältnisse und die gesellschaftlichen Integrationsmechanismen. Sie sind einer theologischen Legitimation nicht mehr bedürftig.[1]

In der Tradition liberaler Theologie kann jedoch zugleich festgehalten werden, dass sich, im Zuge der durch die politischen, wissenschaftlichen und industriellen Revolutionen der Neuzeit ausgelösten Veränderungen, die religiösen Fragen keineswegs erledigt haben. Es hat sich die Motivlage für religiöse Fragen verschoben. Die Religion hat ihren Umbau erfahren, hinein in ein neues Relevanzgefüge. Der christliche Glaube gewinnt in der modernen Kultur seine Relevanz aus dem Interesse der Menschen an der Sinndeutung ihrer durch die soziokulturellen Veränderungen zugleich zur eigenen Gestaltung freigesetzten wie in ihrer Eigenheit bedrohten Individualität.

2. Selbstbestimmte Spiritualität

Liberale Theologie plädiert für religiöse Autonomie, für eine selbstbestimmte Frömmigkeit und Spiritualität. Sie will eine Religion der freien, persönlichen Einsicht in die Wahrheit des Glaubens, verlangt daher keine Anerkennung von Glaubenssätzen allein aufgrund der Autorität der Bibel oder der Kirche. Selbstbestimmte Frömmigkeit kann auf sehr verschiedene Weise Gestalt gewinnen. Sie kann ihr Zentrum in einer persönlichen Beziehung zu Jesus finden, die der Beziehung zu Kirche und Gemeinde vorgeordnet wird. Selbstbestimmte Frömmigkeit kann heute in einer Spiritualität lebenspraktisch werden, die ein inhaltlich eher unbestimmtes Transzendenzbewusstsein ausbildet, sich aber weithin doch im Tradierungszusammenhang des freilich undogmatisch verstandenen Christentums bewegt. Selbstbestimmte Frömmigkeit kann sogar in Gestalt charismatischen Pfingstlertum oder fundamentalistischen Wort-Glaubens praktisch werden. Dann jedenfalls, wenn dort auf die persönliche Überzeugungsgewissheit der Akzent gelegt wird, das je eigene Ergriffensein vom Geist Christi oder vom Wort Gottes und nicht so sehr die Unterwerfung unter ein ekstatisches Ritual mit seinen vorgefertigten Bekenntnisnormen und Verhaltenskodizes oder unter das Papier des Bibelbuchstabens gepocht wird. Entscheidend für liberale Frömmigkeit ist, dass der Glaubensaudruck frei gelassen wird und variabel bleibt, dass er sich nicht nach biblischen, dogmatischen, kirchlichen oder lehrmäßigen Bestimmungen richten muss, sondern klar der persönlichen Gewissheit, der Erfahrung und dem Engagement der Glaubenden nachgeordnet bleibt. Wo der Glaubensausdruck als Ausdruck persönlicher Glaubensgewissheit verstanden wird, haben wir es mit einer Form liberaler, selbstbestimmter Frömmigkeit zu tun.

Heute steht das Konzept der Spiritualität am ehesten für diese Form liberaler Frömmigkeit. Wo Menschen sich zu ihrer Spiritualität bekennen, geht dies oft mit einer Distanzierung gegenüber dem kirchlichen Glaubensausdruck einher. Umso energischer wird die eigne Transzendenzerfahrung betont, die Offenheit für die geistige, nicht verrechenbare und nicht machbare Dimension der Wirklichkeit. Spiritualität ist eine Sinneinstellung, eine Offenheit für die Präsenz des Göttlichen, die als Lebensbereicherung erfahren wird. Insofern geht das Konzept der Spiritualität durchaus zusammen mit dem in Theologie und Kirche heute gebräuchlichen Reden von der Glaubenserfahrung. Die Glaubenserfahrung wird dabei in der Regel als lebensgeschichtliche Sinnerfahrung verstanden. Sie wächst in den Geborgenheitserfahrungen der Kindheit, in der Gemeinschaft der Kirche, in schönen Gottesdiensten an Weihnachten, an den Wenden der eigenen Biographie. Sie wird erschüttert in Erfahrungen des Desaströsen und Ungeheuren, wovon ja auch die Bibel erzählt. Das Konzept der Spiritualität oder auch der persönlichen Glaubenserfahrung, hält fest, dass die Gläubigen oder religiös Suchenden den göttlichen Sinngrund nicht als gegenständliche oder personale Wirklichkeit erfahren müssen und dennoch von seiner Wirklichkeit tief überzeugt sein können.

Liberale Spiritualität ist undogmatisch. Sie versteht die christlichen Glaubensaussagen nicht mehr in einem gegenständlichen Sinn. Danach suchen heute viele Menschen, weil sie den Glauben an göttliche Heilstatsachen, überhaupt an einen direkt ins Weltgeschehen eingreifenden Gott nicht mehr erschwingen können. Sie suchen nach der Entgegenständlichung des Glaubens, somit auch nach einer Glaubensauffassung, für die Gott die Offenheit für die geistige Dimension der Wirklichkeit ist. Liberale Theologie und Frömmigkeit bewegen sich in diese Richtung. Sie nehmen die gegenständlichen Vorstellungen der biblischen Tradition von Gott dem Schöpfer, Versöhner und Erlöser auf, versuchen sie aber in ihrem symbolischen Sinn zu verstehen. Die Aussagen über Gott im symbolischen Sinn zu verstehen, heißt, sie in dem zu verstehen, was sie uns über uns selbst und unser Dasein in der Welt sagen. Wer Gott den Schöpfer, Versöhner und Erlöser glaubt, weiß sich auch noch im Elend und Verderben, ja über den Tod hinaus, in seiner Hand geborgen. Aus seinem Glauben erwächst ihm unbedingte Lebensgewissheit aber auch die Kraft zu Anklage und Protest in den Erfahrungen des Ungerechtigkeit und des Ungeheuren.

Der Glaube hat dort, wo er sich als spirituelle Lebenseinstellung versteht, freilich auch oft etwas Tastendes und Suchendes. Er strotzt nicht immer vor Gewissheit und fragt beim Hören der Rede von einem Gott, der dies und das tut, ob es auch wahr ist oder, was solche Gottesrede eigentlich in den Erfahrungen des Lebens meint. Diese fragende Skepsis macht bekennende Liberale bei Fundamentalisten und Charismatikern oft verdächtig. Liberale Theologie ermutigt den Glauben jedoch dazu, zu seinen Zweifeln zu stehen. Die Zweifel gehören zum Glauben, eben weil dieser kein Wissen ist und nicht zu einem Wissen werden kann.

3. Eine offene, tolerante Kirche

Liberale Theologie plädiert für eine offene und tolerante evangelische Kirche. Sie will eine Kirche oder kirchliche Gemeinschaften, die unterschiedliche Formen der Frömmigkeit zulassen. Deshalb wertet sie auch die distanzierte Form der Kirchenmitgliedschaft nicht ab, auch dann nicht, wenn etwa nur anlässlich der Kasualien der Kontakt zur Gemeinde gesucht wird.

Die liberale evangelische Kirche unterstützt den Gemeindegedanken. Sie will, dass sich die Kirche von unten her bildet, durch das lebendige Engagement ihrer Mitglieder. Der Glaube ist eine innerliche Angelegenheit des einzelnen Menschen, aber keine bloße Privatsache. Abgewehrt wird, dass die Kirchenführer sich ein politisches Mandat anmaßen. Jeder einzelne Christenmensch ist unmittelbar zu Gott. Die Kirche und die sie Leitenden haben sich nicht dazwischen zu schalten. Die Gemeinde und ihre Gottesdienste sind Orte der Kommunikation des Evangeliums, der Belehrung und Beratung der Gewissen, nicht aber der politischen Aktion. Die einzelnen Christen partizipieren aus ihrem Glauben heraus und in den Entscheidungen ihres Gewissens am politischen Prozess. Aber die Kirche bzw. christliche Gemeinschaft ist nicht selbst politische Partei. Solche Anmaßungen führen immer zur Vergewaltigung der Gewissen durch mehr oder weniger offenkundigen Klerikalismus.

Es müssen nicht alle auf dieselbe Weise ihr Christsein verstehen und leben. Die einen halten sich an der Bibel als dem für sie verbindlichen Gotteswort fest. Die anderen fühlen sich vom Heiligen Geist ergriffen. Wieder andere suchen den Zuspruch des Evangeliums und den Segen Gottes an den Sollbruchstellen ihrer Lebensgeschichte und noch einmal andere schließen sich zum „Bund für freies Christentum“ zusammen und suchen Kontakt zu einer der vielen Freikirchen. Mit der Moderne sind wir in das Zeitalter der religiösen Bewegungen und damit der Individualisierung und Pluralisierung der Formen religiösen Lebens, der Globalisierung und damit der Begegnung der Weltreligionen eingetreten. Auch diese Begegnung der Religionen braucht nichts so dringlich sie den liberalen Geist der Anerkennung der anderen in ihrem Anderssein.

Eine liberale Kirche versucht unterschiedlichen Ausprägungen des Christlichen in sich selber zuzulassen und zusammen zu halten. Die Grenzen zieht sie erst dort, wo die Freiheit, die sie gewährt, zur Bestreitung und Ausschaltung der Freiheit anderer genutzt werden will. Dass eifernde Fundamentalisten eben dazu neigen, wissen wir und sehen sie daher auch als Gefährdung einer liberalen Kirche an. Fundamentalisten müssen jedoch nicht von missionarischem Eifer getrieben sein. Es kann auch sein, dass sie den anderen Glaubensausdruck anderer achten und frei lassen. Dann sind sie auch in einer liberalen Kirche gern gelitten. Wo jedoch im Namen religiöser Autorität politische oder moralische Geltungsansprüche nicht nur geltend gemacht, sondern unmittelbar, an der Gewissensentscheidung der Individuen und ihren Partizipationsmöglichkeiten vorbei, zur Durchsetzung gebracht werden, sind die Prinzipien liberalen Christentums verletzt.

Der kirchliche, theologische und frömmigkeitspraktische Liberalismus prägt die Religionskultur unserer Gegenwart weltweit. Natürlich gibt es, ich habe es schon angedeutet, gerade auch im gegenwärtigen Protestantismus andere Strömungen und ein anderes kirchliches Wollen. Immer wieder melden sich Stimmen zu Wort, die auf eine objektivere Kirchlichkeit drängen, wie sie der Katholizismus aufrechtzuerhalten versucht. Sie betonen stärker den Buchstaben und nicht den Geist der reformatorischen Bekenntnisse und machen dabei dem kirchlichen und religiösen Liberalismus einen gefährlichen Hang zur Beliebigkeit bzw. zur Geistemphase, zum Subjektivismus und zum Werterelativismus zum Vorwurf.

Wie der Bertelsmann Religionsmonitor zuletzt belegte, aber aus den Kirchemitgliedschaftsuntersuchungen der EKD seit den 1970er Jahren hervorgeht, dominiert hierzulande eine moderate, durchaus liberale Christlichkeit, die die Kirche als religiösen Sinnlieferanten im Hintergrund des Lebens nicht missen möchte, aber sie nur gelegentlich aktiv in Anspruch nimmt. Die gelebte Religion bewegt sich überwiegend im Trend einer undogmatischen Spiritualität. Nur eine Minderheit selbst unter denen, die religiös besonders aktiv sind, wird von charismatisch allzu überschwänglichen, fundamentalistisch allzu bornierten oder konservativ allzu traditionsfixierten Gemeinden angezogen. Das ist in vielen Weltgegenden außerhalb Europas sicher anders. Aber die Gründe dürften gerade darin liegen, dass sich dort die Prinzipien des von Pietismus und Aufklärung geprägten religiösen Liberalismus stärker durchgesetzt haben, als dies in seinen europäischen Heimatländern der Fall ist. Die Religion ist in vielen vom Christentum mit geprägten Ländern Amerikas, Afrikas und Asiens sehr viel selbstverständlicher als hierzulande längst nicht mehr eine Sache institutioneller, traditionsorientierter Vorgegebenheiten, sondern eben eine Sache persönlicher Wahl und Entscheidung, aber auch ungezwungenen Gemeinschaftserlebens. Das Christentum ist verbunden mit sozialen Zugehörigkeitsverhältnissen, mit der Einbindung in eine starke Gemeinschaft, stärker vor allem auch eine Sache kommunaler Praxis und der persönlichen Lebensorientierung als Sache der Lehre und der gedanklichen Reflexion. Von geistbewegten und sich auf das rettende Wort Gottes berufenden Gemeinden geht die Botschaft aus, dass der Glaube eine Lebenskraft ist und zur Bewältigung eines oft schwierigen Alltags hilft. Die kirchliche Gemeinschaft stabilisiert den einzelnen nach innen und nach außen. Diese Stabilisierungskraft geht vor allem deshalb von der christlichen Gemeinde aus, weil der einzelne nicht schlicht in  sie hineingeboren wird, sondern weil er sich selbst bzw. seine Familie sich bewusst für sie entschieden haben und sich voll und ganz mit ihren Lebensmaximen identifizierten. Christ zu sein ist kein Schicksal, wie bei uns, sondern gilt als Entscheidung für einen mit bestimmten Vorzüglichkeiten ausgestatteten Lebensstil.

Der religiös-kirchliche Liberalismus reicht so gesehen – dem politischen Liberalismus durchaus vergleichbar, auch wenn deren Verhältnis zueinander umstritten ist – sehr viel weiter als das Gewicht der ihn fördernden Schulen akademischer Theologie und der ihn explizit tragenden kirchlichen Parteien. Zu seinem Erbe zählt der kirchliche und religiöse Pluralismus in den USA und von dort weltweit ausgehend in Südamerika, Afrika und Asien, wie eben auch die volkskirchlichen Strukturen hierzulande. Für die Freiheitsspielräume in den christlichen Lebensformen wie auch in der Vielfalt lebendiger Gemeindebildungen ist freilich nur der sich zu seiner freiheitlichen Gesinnung bekennende religiös-kirchliche Liberalismus seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingetreten. Auch die Gemeindeaufbaubewegung um Emil Sulze um die Wende zum 20. Jahrhundert stand aber im Wirkungszusammenhang dieses kirchlich-religiösen Liberalismus. Seinem Erbe begegnen wir auf bewusste Weise im Grunde überall dort, wo zwischen der verfassten, institutionalisierten Religion und dem individuellen Glauben in den verschiedenen Formen seiner Vergesellschaftung unterschieden wird, auch wenn man sich zur Trennung von Religion und Politik, Kirche und Staat auf breiter Basis zu bekennen in Deutschland erst nach 1945 gelernt hat.

Seine Pluralismusfreundlichkeit musste der religiös-kirchliche Liberalismus nach 1945 erst noch lernen. Die Freiheit des einzelnen und der religiösen Bewegung, der er sich verbunden weiß, muss gegen Unduldsamkeit und Missachtung Anders-Gläubiger aber heute verteidigt und weiter befördert werden. Den Individuen steht das Recht zu, ihre religiösen Zugehörigkeitsverhältnisse zu wählen. Sie haben unter den Bedingungen der modernen Kultur geradezu die Pflicht, sich selbst zu entscheiden. Sie stehen unter dem „häretischen Imperativ“, wie dies der Religionssoziologe Peter L. Berger beschrieben hat, nicht ohne sich zum religiösen und theologischen Liberalismus zu bekennen und die Beschäftigung mit den liberalen Theologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dringlich zu empfehlen.

Das Mkr. ist urheberrechtlich geschützt.


[1] Vgl. U. Barth, Abschied von der Kosmologie – Befreiung der Religion zu sich selbst, in: W. Gräb (Hrg.), Urknall oder Schöpfung. Zum Dialog von Naturwissenschaft und Theologie, Gütersloh 1995, 14-42

Statt Identität die Vielfalt

Statt Identitäten:  die Vielfalt (dieser Beitrag wurde am 4.1. 2011 gleichzeitig in www.religionsphilosophischer-salon.de veröffentlicht.

Religionsphilosophische Perspektiven für 2011

Wichtig bleibt für uns als Projekt, den „Geist der Zeit“ bzw. „die Geister der Zeit“  (in ihrem Nebeneinander und Gegeneinander) wahrzunehmen und kritisch zu analysieren. Philosophie schwebt nicht in der Abstraktion, sie hat das Gegebene, auch in den Religionen, zu bedenken und zu kritisieren. Maßstab ist eine sich selbst kritisierende und damit „offene“ Vernunft.

Der schon deutliche Trend bleibt: Die Verkapselung der Individuen und Gesellschaften, der Staaten und Religionen in ihre vermeintliche Identität.

Das zum Teil aggressive Bestehen auf einer fix und fertigen Identität äußert sich im Rechthaben, im Anspruch, „die“ Wahrheit gegenüber den anderen zu haben, Fremde und Fremdes als Gefährdung zu deuten, von Verlustängsten geplagt zu sein, nicht teilen zu wollen, nicht lernen zu wollen von anderen.

Dieser Wahn, um jeden Preis eine angeblich „ewige“ oder „typische“  Identität zu wahren, ist naiv: Denn auch diese Identität ist entstanden, gewachsen, aus verschiedenen Einflüssen gewachsen…

Was die christlichen Kirchen angeht:

– Die Orthodoxie in ihrer Vielfalt zeigt sich heute in Osteuropa als staatstragend. Sie lässt sich als religiöse Ideologie für halbdemokratische Regime missbrauchen. Reformen kommen nicht in Frage, reale Trennung von Staat und Kirche sind tabu. „Die orthodoxe Frömmigkeitskultur trägt zudem kaum dazu bei, ein elementares soziales Vertrauen zu stärken. Zumindest in der Perspektive westlich geprägter Analytiker fördert die Orthodoxie ökonomischen Traditionalismus und quietistische Akzeptanz des Gegebenen“, so der Theologe Friedrich Wilhelm Graf in „Die Wiederkehr der Götter, 2004, s. 195. Im Gebrauch längst vergangener Sprachen für die göttliche Liturgie wird ohnehin kein Anspruch erhoben, Glauben und Vernunft zu versöhnen

– In der katholischen Kirche ist aufseiten der Kirchenleitung die verbissene Lust an der römischen Identität seit Jahren bekannt und vielfach besprochen worden. Der Papst behauptet nach wie vor, nur der römische Katholizismus sei die wahre Kirche Jesu Christi, die anderen Kirchen „nur“ Gemeinschaften. Mit der trotzdem vom Papst beschworenen Ökumene hat das eigentlich nichts mehr zu tun. Ökumene hat den Charakter des diplomatisch Verpflichteten.

– Im weiten Feld der Evangelischen Kirchen müssen immer viele Nuancen bedacht werden. In den klassischen protestantischen Kirchen, den Lutheranern und Reformierten, ist sicher viel Raum für einen echten Dialog lernbereiter Partner. Andererseits bemühen sich die Landeskirchen (etwa in Deutschland) darum, auf keinen Fall die Evangelikalen, die Ultra Konservativen, zu verlieren, sie sind gute Kirchensteuerzahler.

Die Pfingstkirchen bieten ein klares und eindeutiges „identisches“ Profil des Christlichen. Sie haben damit Erfolg, weil in einer Welt voller Unsicherheiten die krampfhafte Suche nach dem Ewigen und Festen verständlich ist, aber religionsphilosophisch problematisch ist. Kann ein fundamentalistisch wiederholtes Bekenntnis „Sicherheit“ bieten, gibt es Sicherheit ohne kritische Vernunft und kritisches Nachdenken.

Merkwürdig – und aus meiner persönlichen Sicht traurig – ist die Tatsache, dass die Kirchen, die alle Freiheit kritischen Denkens lassen und allen Raum bieten für die kreative Entwicklung der Theologie und Spiritualität, wie die freisinnigen Kirchen, etwa die Remonstranten, zahlenmäßig klein bleiben. Tom Mikkers, Allgemeiner Sekretär der Remonstranten in Utrecht, nennt seine Kirche eine „Asylkirche“, also einen Ort, der Raum bietet zum freien Atmen und kritischen Denken. Aber die Menschen suchen lieber ihre fixen Identitäten, als eine Kirche, in der man sich verändern kann und lernen kann. www.remonstranten-berlin.de wird nach wie vor über freisinnigen Glauben heute und damals berichten. Unsere These ist: Philosophierende Menschen haben in freisinnigen Kirchen einen Platz der Versöhnung von Glauben und Vernunft.

Auch in dem Zusammenhang ist ein Dialog über den Zusammenhang von Religion und Vernunft dringend geboten. Der religionsphilosophische Salon www.religionsphilosophischer-salon.de will sich als Basisinitiative diesem Projekt weiterhin verpflichtet fühlen. Die Selbständigkeit des philosophischen Denkens ist dabei selbstverständlich.

Neuer „holländischer Katechismus“

Vielleicht hat Gott heute “neue Kleider” an…     Ein neuer freisinniger protestantischer – und allgemein christlicher -Katechismus

Eine Einladung, selber zu denken und den eigenen Glauben zu entwickeln

Alle 150 Abgeordneten des Niederländischen Parlaments (Tweede Kamer) erhalten dieser Tage einen Katechismus geschenkt. Ungewöhnlich, in einem säkularisierten Land wie Holland. Dabei handelt es sich nicht um den Versuch, klerikale Machtansprüche in der Politik durchzusetzen, das liegt den Autoren des ungewöhnlichen Katechismus auch völlig fern. Denn sie treten als “freisinnige, liberale Christen” entschieden für die Trennung von Kirche und Staat ein. Aber ihnen liegt daran, mit allen Menschen, auch mit Politikern, in einen partnerschaftlichen Dialog einzutreten, nicht über Dogmen, wohl aber auch ethische Orientierungs – Vorschläge!

Es ist schon komisch: Ausgerechnet in Holland erscheint dieser Tage ein neuer Katechismus. Ist das Wort „Katechismus“ nicht völlig out, völlig verbraucht, gerade in den Niederlanden, wo nur noch etwa 35 Prozent der Bevölkerung Mitglieder einer christlichen Kirche sind und die wenigsten Menschen von dogmatischen Lehren unterwiesen werden wollen? In dieser Situation muss man schon etwas Außergewöhnliches vorweisen: Der neue holländische Katechismus konnte entstehen, weil die vier freisinnigen christlichen Kirchen Hollands angesichts des zunehmenden Einflusses konservativer und reaktionärer Kirchen deutlich ihre eigene Stimme erheben, die Stimme der Freiheit, die dem Nachdenken allen Raum lässt und eben keine fertigen „ewigen“ Wahrheiten präsentiert. Es sind keine Leitungsgremien, keine Bischöfe und keine Päpste, die diesen Katechismus verfasst haben, sondern zwei Pfarrer, die im ständigen Austausch mit der Kultur der Gegenwart stehen: Christiane Berckvens – Stevelinck, Theologin der Remonstranten Kirche, und Ad Ablass, Theologe der freisinnigen Strömung innerhalb der Protestantischen Kirche (PKN) legen ein Buch vor, das in 12 Kapiteln Grundworte der menschlichen Kultur erläutert, Grundworte, die ihre Wurzeln in den biblischen Traditionen haben. Am Anfang steht die „Compassie“, das Mitleid, am Ende die dem Mitgefühl und der Empathie verwandte Liebe. Andere Themen sind Gleichheit, Verbundenheit, Versöhnung, Gerechtigkeit, Friede, Wahrheit, Freiheit, Berufung, Glaube und Gott. Das neue Buch nennt sich ausdrücklich „Katechismus des Mitleids“, ein zweifellos ungewöhnlicher, wenn nicht gar provozierender Titel. Aber er deutet das Ziel an: Die LeserInnen werden eingeladen, angesichts der humanen, ökologischen und politischen Katastrophen der Gegenwart das Mitleiden zu entwickeln, nicht nur als spirituelle Haltung, sondern vor allem als aufgeklärtes Handeln zugunsten der Leidenden. Aber dieser Appell zum Handeln ist nicht dick aufgetragen, vielmehr bieten die einzelnen Kapitel Informationen und meditative Impulse zu diesen Grundworten humaner Existenz. So ist ein Buch entstanden, das sich wohl am besten in einer eher „meditativen und behutsamen Lektüre“ erschließt. Nebenbei: Das Buch verdankt wesentliche Anregungen der britischen Philosophin und ehemaligen katholischen Nonne Karen Armstrong, die sich ausdrücklich für eine „Charta des Mitgefühls“ einsetzt. So gehört dieses Buch zu dem weltweit entstehenden Netwerk „Compassion“! Alle Kapitel des Katechismus werden „eingeleitet“ mit schönen Nachdrucken von Gemälden, Chagall ist genauso vertreten wie Rembrandt, Claudio Taddei genauso wie Caravaggio oder Ferdinand Hodler. Die eigens für das Buch gefertigten Gemälde der Künstlerin Brigida Almeida aus Utrecht beschließen jedes Kapitel. Im Text werden die Leser mit einer Fülle an Informationen aus der Literatur, dem Film, dem Theater konfrontiert, Informationen, die gleichermaßen die Schwierigkeiten wie die Chancen einer Lebenshaltung vorstellen, die sich von den 12 „Katechismus – Grundworten“ inspirieren lassen will, biblische Perspektiven sind jeweils ein Kapitel unter den anderen. Das ist der typische freisinnige Geist, dass keinem „Bibel – Fanatismus“ gehuldigt wird, sondern spirituelle Inspirationen auch im „weiten Feld“ der Religionen und Kulturen präsentiert werden. Sympathisch werden es Berliner finden, dass zum Thema Freiheit schon im Titel auf den berühmten Ausspruch John F. Kennedys verwiesen wird: „Ich bin ein Berliner“, ein Ausspruch, der heute als Bekenntnis gegen alle Formen des Totalitarismus verstanden wird. Äußerst sympathisch ist auch, dass das Kapitel über die Liebe mit einem Bild von Julius Schnorr von Carolsfeld eröffnet wird, das die beiden Liebhaber David und Jonathan zeigt., sicher ist auch die Entscheidung für dieses Bild typisch für Freisinnige in Holland: Die Remonstranten waren ja die erste Kirche weltweit, die schon 1986 homosexuelle Paare –gleich welcher Konfession- in ihren Kirchen segnete. Sympathisch ist auch, dass der ungewöhnliche, progressive katholische Theologe Karl Rahner als Verteidiger der Mystik erwähnt wird.

Dies ist wohl der entscheidende Eindruck: Dieser auch vom Layout so schöne und freundliche Katechismus der freisinnigen Christen plädiert für die Mystik, sicher für eine moderne, eine durch die Aufklärung „hindurchgegangene” Mystik: Aber doch wird aller Nachdruck gelegt auf das innere Erleben des Göttlichen, das sich im Handeln ausdrückt. In der Mystik sehen die Autoren ohnehin die Zukunft des Religiösen. Interessant könnte es sein, wie sich die freisinnigen Kirchen selbst zu Orten (multi-religiöser) Mystik entwickeln. Vielleicht ist diese Mystik das neue Profil der Freisinnigen und ihrer Gemeinden? Vielleicht können sie mit diesem Profil weitere undogmatische, aber mystisch Interessierte einladen? Die niederländischen Autoren sind jedenfalls überzeugt: Gott ist nicht tot, er zeigt heute nur neue, ungewöhnliche „Gesichter“. Er hat vielleicht neue Kleider angelegt, wie die Autoren schreiben.

“Catechismus van de compassie”. Erschienen im Verlag Skandalon, in Vught, Holland. ISBN 978-90-76564-94-4.compas

Alte religiöse Lieder mit neuen Texten

„Licht“ – alte religiöse Lieder mit neuen Texten

Die Zeit der frommen Floskeln ist vorbei

Von Christian Modehn

Die in den Niederlanden hoch geschätzte Dichterin, Autorin und Übersetzerin Coot van Doesburgh hat sich auf Einladung der Remonstranten Kirche auf ein nicht nur für Holland wegweisendes Projekt eingelassen: Sie hat zu alten, auch vertrauten religiösen Liedern („Kirchenliedern“)  neue, zeitgemäße und poetische TexteWeiterlesen →

Glauben ist kreativ

Die Freiheit der Vielfalt bewahren

Freisinnige protestantische Positionen zu vertreten, ist in einem überwiegend konservativen christlichen Umfeld nicht einfach:

Zum Beispiel:

Problematisch erscheint es,  wie in den letzten Wochen erneut von konservativer christlicher Seite gerade liberale Protestanten herabgesetzt, wenn nicht diffamiert werden. In seinem neuesten Buch vom November 2010 „Licht der Wahrheit“ (S. 118ff) weigert sich der Papst, protestantische Kirche tatsächlich ALS Kirchen anzuerkennen. Nur die römische Kirche ist Kirche, meint er, die Orthodoxen sind es vielleicht auch etwas. Frauenordination, Akzeptanz homosexueller Partnerschaften und „dergleichen mehr“, „wie ethische Stellungnahmen“, die (vor allem freisinnige) Protestanten auszeichnen,  nennt der Papst „Komformismen mit dem Geist der Gegenwart“.  Also oberflächliche Anpasserei… Freisinnige Christen halten daran fest, dass sich in den Kulturen der Gegenwart sehr wohl Werte zeigen, die akzeptiert werden können, wie eben die Geichstellung der Frauen und die Akzeptanz homosexueller Partnerschaften…Glaube ist für freisinnige Christen keine Monotonie der Wiederholung angeblich ewiger Wahrheiten. Glauben ist ein kreatives Geschehen, das dem Menschen viel Freiheit lässt…

Zum Beispiel:

Angesichts der Diskussionen innerhalb der protestantischen „Welt“ der Niederlande schreiben die beiden Remonstranten Theologen T. Barnard und T. Mikkers Ende November 2010: „Wir glauben absolut nicht mehr dasselbe wie unsere =Väter, also die Initiatoren der Remonstranten, einst=. Noch stärker: Das werden wir auch überhaupt nicht wollen. Unser Glaube steht auch in Verbindung mit unserer Zeit!  Aber ebenso fühlen wir uns sehr verbunden mit den Remonstranten von einst, denn sie verlangten vor allem Raum und Freiheit um zu glauben. Sie standen für eine Kirche, in der verschiedene Standpunkte nebeneinander bestehen können“.