Religionsstress – ein heilbares Leiden. Zu einem neuen Buch von Tom Mikkers

Religionsstress – ein heilbares Leiden

Zu einem neuen Buch von Tom Mikkers

Von Christian Modehn       (PS: inzwischen ist das Wort „Religionsstress“  offiziell zum Wort des Monats in den Niederlanden erklärt worden. Siehe auch Woord van de maand.)

Immer weniger (jüngere) Menschen in Europa sind noch mit  Kirchen und Religionsgemeinschaften verbunden. Aber die religiösen Institutionen und Verwaltungsapparate, mit ihren dogmatischen Lehren und zum Teil rigiden moralischen Weisungen, versuchen, die öffentlichen Debatten zu prägen und das Leben der einzelnen zu bestimmen. Das verursacht negativen Stress, Spannungen, seelischen Druck und Belastungen. Offenbar können sich viele aufgeklärte oder kirchendistanzierte Menschen doch nicht von den tradierten alten Gottesbildern lösen; sie können sich nicht von autoritärer Einrede durch kirchliche Institutionen freimachen. Hingegen könnte ein kritisch reflektiertes, eher an der Gestalt Jesu von Nazareth inspiriertes Gottesbild von religiösem Stress (und Leiden) befreien.

Das ist der Ausgangspunkt des neuen Buches von Tom Mikkers. Er ist „Allgemeiner Sekretär“ der „Remonstranten Kirche“ in den Niederlanden, einer gleichermaßen humanistisch wie christlich geprägten freisinnigen Kirche, die ihren Sitz in Utrecht hat.  Mikkers`Buch „Religiestress“ (Religionsstress) ist im September 2012 im Verlag Meinema in Zoetermeer erschienen, es hat 140 Seiten und kostet 14,90 Euro.

Das neue Buch von Tom Mikkers (kürzlich ist auch sein Buch „Coming Out Churches“ in Holland veröffentlicht worden) erinnert vor allem an die Situation in den Niederlanden: Dort haben evangelikale Kreise ihr eigenes TV Programm, das sie mit traditioneller Glaubenslehre „füttern“. Auch die zahlenmäßig kleiner werdende römische Kirche in Holland versucht in ihren Medien lautstark die rechte, die orthodoxe Lehre zu verbreiten, z.B. mit allen bekannten Abweisungen von nun einmal auch sexuell geprägter Liebe unter Homosexuellen oder der Zurückweisung wiederverheiratet Geschiedener von der Kommunion. Rigide Regeln verdunkeln und „vergiften“ (F. Nietzsche) das Bild eigentlich menschenfreundlicher Glaubensgemeinschaften. Tom Mikkers wehrt sich gegen den Gedanken,  Religionen würden prinzipiell seelische Belastungen und Irritationen fördern. Nebenbei: Auch atheistische Glaubensgemeinschaften können in ihrer „Anti – Dogmatik“ Stress und Anspannung erzeugen.

Der Autor hält ein menschliches Christentum für möglich, wenn sich denn die Glaubenden befreien von magischen Vorstellungen. Die Menschen haben die Möglichkeit, selbst kraft ihrer Vernunft eine bessere Welt zu schaffen. Sie sollten die Unterscheidung lernen: Welche Religionen schaden der menschlichen Entwicklung, welche sind hilfreich und fördern das seelische Gleichgewicht? (Seite 112). Religion ohne Stress beginnt damit, die so genannten Heiligen Texte der Religionen, etwa die Bibel, als Ausdruck des religiösen Bewusstseins früherer Generationen zu lesen, also historisch – kritisch, befreit von magischen Vorstellungen, die ja ein eigenes Belastungspotential in sich bergen.  Stressfrei religiös: Das meint ein Leben, das sich aufgeklärt religiös versteht, das sich den Sinn für das göttliche Geheimnis in jedem Dasein bewahrt und deswegen alles „klein karierte“ obsolete  moralische Besserwissen der Institutionen zurückweist. Religion birgt grundsätzlich so viel Weisheit, dass man sie nicht den Herren des Dogmas überlassen darf. Das Buch „Religiestress“ belebt die Debatte um menschenfreundliche Kirchen (biophil, im Sinne des Therapeuten Erich Fromm), in dem festen Willen, die lebensfeindlichen, also negativen Stress und Leiden verursachenden Glaubensformen zurückzuweisen (nekrophil im Sinne Erich Fromms). Das ist ein großes Projekt…Immerhin gibt es Orte innerhalb der Christenheit, wo sich der Glaube gleichermaßen humanistisch wie jesuanisch – christlich versteht. Freisinnige Kirchen, wie etwa die Remonstranten, haben eigentlich einen hilfreichen Vorschlag gegen zuviel „Religiestress“.

Der Autor dieses Beitrags fragt sich nur, warum sich so viele Menschen in dieser insgesamt äußerst stressgeladenen Gesellschaft (Rassismus, Kriege, Korruption, Probleme in der Entwicklung von Demokratien, Fundamentalismus, Gewalt usw.) immer noch an Stress erzeugende Religionen binden und sich kaum für humanistisch  – christliche Alternativen interessieren. Ist die allgemeine religiöse Verblendung immer noch so groß, dass es förmlich eine (masochistische?) Freude ist, in eigentlich doch aufgeklärten Zeiten betont fundamentalistisch – stressig religiös zu leben?