Statt Identität die Vielfalt

Statt Identitäten:  die Vielfalt (dieser Beitrag wurde am 4.1. 2011 gleichzeitig in www.religionsphilosophischer-salon.de veröffentlicht.

Religionsphilosophische Perspektiven für 2011

Wichtig bleibt für uns als Projekt, den „Geist der Zeit“ bzw. „die Geister der Zeit“  (in ihrem Nebeneinander und Gegeneinander) wahrzunehmen und kritisch zu analysieren. Philosophie schwebt nicht in der Abstraktion, sie hat das Gegebene, auch in den Religionen, zu bedenken und zu kritisieren. Maßstab ist eine sich selbst kritisierende und damit „offene“ Vernunft.

Der schon deutliche Trend bleibt: Die Verkapselung der Individuen und Gesellschaften, der Staaten und Religionen in ihre vermeintliche Identität.

Das zum Teil aggressive Bestehen auf einer fix und fertigen Identität äußert sich im Rechthaben, im Anspruch, „die“ Wahrheit gegenüber den anderen zu haben, Fremde und Fremdes als Gefährdung zu deuten, von Verlustängsten geplagt zu sein, nicht teilen zu wollen, nicht lernen zu wollen von anderen.

Dieser Wahn, um jeden Preis eine angeblich „ewige“ oder „typische“  Identität zu wahren, ist naiv: Denn auch diese Identität ist entstanden, gewachsen, aus verschiedenen Einflüssen gewachsen…

Was die christlichen Kirchen angeht:

– Die Orthodoxie in ihrer Vielfalt zeigt sich heute in Osteuropa als staatstragend. Sie lässt sich als religiöse Ideologie für halbdemokratische Regime missbrauchen. Reformen kommen nicht in Frage, reale Trennung von Staat und Kirche sind tabu. „Die orthodoxe Frömmigkeitskultur trägt zudem kaum dazu bei, ein elementares soziales Vertrauen zu stärken. Zumindest in der Perspektive westlich geprägter Analytiker fördert die Orthodoxie ökonomischen Traditionalismus und quietistische Akzeptanz des Gegebenen“, so der Theologe Friedrich Wilhelm Graf in „Die Wiederkehr der Götter, 2004, s. 195. Im Gebrauch längst vergangener Sprachen für die göttliche Liturgie wird ohnehin kein Anspruch erhoben, Glauben und Vernunft zu versöhnen

– In der katholischen Kirche ist aufseiten der Kirchenleitung die verbissene Lust an der römischen Identität seit Jahren bekannt und vielfach besprochen worden. Der Papst behauptet nach wie vor, nur der römische Katholizismus sei die wahre Kirche Jesu Christi, die anderen Kirchen „nur“ Gemeinschaften. Mit der trotzdem vom Papst beschworenen Ökumene hat das eigentlich nichts mehr zu tun. Ökumene hat den Charakter des diplomatisch Verpflichteten.

– Im weiten Feld der Evangelischen Kirchen müssen immer viele Nuancen bedacht werden. In den klassischen protestantischen Kirchen, den Lutheranern und Reformierten, ist sicher viel Raum für einen echten Dialog lernbereiter Partner. Andererseits bemühen sich die Landeskirchen (etwa in Deutschland) darum, auf keinen Fall die Evangelikalen, die Ultra Konservativen, zu verlieren, sie sind gute Kirchensteuerzahler.

Die Pfingstkirchen bieten ein klares und eindeutiges „identisches“ Profil des Christlichen. Sie haben damit Erfolg, weil in einer Welt voller Unsicherheiten die krampfhafte Suche nach dem Ewigen und Festen verständlich ist, aber religionsphilosophisch problematisch ist. Kann ein fundamentalistisch wiederholtes Bekenntnis „Sicherheit“ bieten, gibt es Sicherheit ohne kritische Vernunft und kritisches Nachdenken.

Merkwürdig – und aus meiner persönlichen Sicht traurig – ist die Tatsache, dass die Kirchen, die alle Freiheit kritischen Denkens lassen und allen Raum bieten für die kreative Entwicklung der Theologie und Spiritualität, wie die freisinnigen Kirchen, etwa die Remonstranten, zahlenmäßig klein bleiben. Tom Mikkers, Allgemeiner Sekretär der Remonstranten in Utrecht, nennt seine Kirche eine „Asylkirche“, also einen Ort, der Raum bietet zum freien Atmen und kritischen Denken. Aber die Menschen suchen lieber ihre fixen Identitäten, als eine Kirche, in der man sich verändern kann und lernen kann. www.remonstranten-berlin.de wird nach wie vor über freisinnigen Glauben heute und damals berichten. Unsere These ist: Philosophierende Menschen haben in freisinnigen Kirchen einen Platz der Versöhnung von Glauben und Vernunft.

Auch in dem Zusammenhang ist ein Dialog über den Zusammenhang von Religion und Vernunft dringend geboten. Der religionsphilosophische Salon www.religionsphilosophischer-salon.de will sich als Basisinitiative diesem Projekt weiterhin verpflichtet fühlen. Die Selbständigkeit des philosophischen Denkens ist dabei selbstverständlich.

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