Bitten und beten und die Wirklichkeit sehen
Gedanken, vorgetragen anlä0lich des Treffens des Forums der Remonstranten in berlin am 20.6.2010
Wir entwickeln gelegentlich unsere persönliche Lebens – Poesie, stammelnde Worte im Alltag, Segenswünsche, Versuche, ohne Floskeln Dank zu sagen. Manchmal gelingen sprachlich schon „reifere“ Sätze, die in die Richtung Poesie gehen. Poesie, wenn auch dem ernsten Spiel der Sprache verpflichtet, ermuntert uns, in uns selbst zu schauen, auf den Grund unseres Daseins. Wem das gelingt, erlebt Poesie auch als Lebenshilfe.
In dem Zusammenhang scheint mir das BITT – Gebet wichtig zu sein.
Ich brauche nicht lange zu verdeutlichen, was Bittgebete in einem populären Verständnis sind: Es sind die Fürbitten im Gottesdienst, die persönlichen Bitten um Gesundheit und Zufriedenheit, Bitten um Frieden, Bitten um die Hilfe Gottes oder sogar der „Gottesmutter Maria“ etwa in katholischen Wallfahrtsorten….Sind solche Bitten Magie, nur naives Bewusstsein von“ schlichten“ Frommen?
Manche sagen, sicher zurecht: Diese Formen des Bittgebetes, die unmittelbare Erfüllung meines Bittens durch Gott erwarten, haben etwas sehr Egozentrisches. ICH will mit MEINEN Anliegen Mich durchsetzen bei Gott, den ich außerhalb von mir als den Allmächtigen und Barmherzigen verehre. ER soll mit seiner Allmacht mir meine Wünsche erfüllen.
Ich schlage eine vernünftige Form des Bittgebetes vor:
Zunächst will ich mich beim Bitten und Flehen immer fragen: Um die Abwendung welchen Übels will ich bitten?
Ich muss also unterscheiden: Was ist unabwendbar und was ist veränderbar? Es wäre also sinnlos zu bitten, dass Gott mich vor meinem Tod als solchem bewahren möchte.
Dann gibt es Situationen, die veränderbar sind. Aber was nützt es da zu bitten: Gott hilf, den Hungernden in meiner Nachbarschaft, dass sie etwas zum Essen finden.
Bittgebete sind eine Aufforderung zum Reflektieren:
Sie führen zurück zu uns selbst: Sie stellen uns in Frage, nehmen uns in Pflicht: Können wir denn nicht dem Armen in unserer Nachbarschaft Speisen reichen?
Bittegebete sollen also formuliert werden. Aber sie sollen uns wieder zurück auf uns selbst führen.
Nicht immer werden wir unmittelbar etwas tun können, es gibt ja, um im Bild zu bleiben, Millionen von Armen und Hungernden. Ich bin froh, wenn ich als einzelner einem Armen wirksam helfen kann.
Aber entscheidend ist: Mit der Bitte werde ich zum Nachdenken angeregt: In welcher Welt leben wir eigentlich? Was ließe sich politisch verändern? Wo ist sozusagen der „Wurm drin“. Also: wo zeigt sich menschlich Böses, gegen das wir kaum ankommen und doch dagegen kämpfen müssen.
In dem Moment des Erstaunens über die eigenen Grenzen stelle ich mich und die ganze Welt Gott anheim. Das heißt, ich stelle mich auch dem Geheimnis des Lebens, dem Geheimnis der Welt. Wer bin ich eigentlich? Wo will ich hin? Sind mir die anderen so fremd? Oder kann ich Empathie entwickeln? Bittgebete verweisen mich also auf mein Menschsein, aber immer auch auf das Menschsein aller anderen. Ich weite sozusagen mein Denken, zugunsten einer großen Empathie, einer Einfühlungskraft in andere: Ich sehe ihr Elend. Und im Einfühlen schmerzt es mich auch ihr Leid; ich wünsche ihnen Kraft und Heilung: Das kann ich formulieren als Ausdruck meiner empathischen Haltung. Das ist Bittgebet, ich höre mich selbst beim Bitten/Beten, werde durch meine laut oder leise gesprochenen Worte an meine Verpflichtung zur Empathie erinnert. Bittgebete führen also zum solidarischen, zum freundschaftlichen Tun.
Da erwarte ich nichts mehr von dem außen agierenden allmächtigen Gott, den ich in Wallfahrten bestürme..um doch bloß MIR gnädig zu sein.
Da stelle ich mich vielmehr dem Geheimnis der Welt, und darin ist Gott sozusagen als innere Kraft, als inneres Licht IN MIR.
Hubertus Halbfas, ein katholischer Theologe, hat das einmal so formuliert: „Das Ich lässt transformieren in das göttliche Du“. In diesem Einswerden mit Gott geschieht die „Erhörung“ meines Bittgebetes.
Bittgebete sind also ein Weg der persönlichen Weitung, der Läuterung, des Innewerdens des Gottes IN uns….diese Erkenntnis hilft, so kann immer mehr die göttliche Wirklichkeit, das göttliche Licht, in uns sein.
Bittgebet hat also nicht mit „Plappern“ zu tun, wie Jesus von Nazareth kritisierte, Bittgebet ist ein höchst anspruchsvolles poetisches Suchen und Versuchen. H.W.