Politiker predigen im Sonntagsgottesdienst: Ein Interview mit Pastor Joost Röselaers, Amsterdam

Interview mit Joost Röselaers, Remonstranten – Pastor in der Gemeinde Vrijburg, Amsterdam

In der Vriburg – Gemeinde in Amsterdam finden seit einigen Monaten regelmäßig Gottesdienste statt, in denen Politiker die Predigt halten. Es handelt sich dabei um die üblichen Gottesdienste am Sonntagvormittag um 10.30 Uhr.

In einem Interview mit Christian Modehn erläutert Pastor Joost Röselaers diese Initiative.

Warum ist es interessant und wichtig für die Gemeinde, Politiker in den Gottesdienst zum Predigen einzuladen?

Eine der zentralen Aufgaben der Kirche besteht darin, auch meinungsbildend für die Menschen dazu zu sein, das kann auf philosophische oder psychologische Weise geschehen. Die Kirche ist auch Teil der Gesellschaft. Viele Dinge um uns herum verändern sich, nicht immer auf positive Weise. Man denke an die (vielfältige) Rolle der „sozialen Medien“ oder des Internets. Oder auch an das Auftauchen weit rechts und weit links orientierter Parteien. Oder denken wir an die Bedeutung der ökonomischen Krise. In dieser Situation, denke ich, kann die Kirche einen Raum bieten, damit die Fragen und Ängste diskutiert werden. Dabei haben die Pfarrer der Gemeinde Vrijburg durchaus eine führende Rolle. Aber es ist auch gut, wichtige aktive Politiker zu uns einzuladen, um über die Entwicklungen der Gesellschaft nachzudenken. Es geht nicht um aktuelle parteipolitische Fragen, sondern eher um einen Blick aus der Distanz. Dazu laden wir Politiker aller Parteien ein, außer Parteien mit extremen Anschauungen.

Sprechen die Politiker über Politik oder auch über Spiritualität?

Die meisten Politiker fühlen sich aufgefordert, auch über ihren eigenen spirituellen Hintergrund zu sprechen. Gerade das macht ihre Beiträge inspirierend und interessant. Von dieser Basis aus diskutieren sie auch politische Themen.

Hält denn auch der Pfarrer in einem solchen Gottesdienst auch noch eine Predigt?

In diesen Gottesdiensten biete ich als Prediger eine Einführung in den Bibeltext, den ich und der Politiker gemeinsam ausgesucht haben. Nach meinen einleitenden Worten, haben aber Politiker das Wort!

Welche Vorstellung von einer Gemeinde ist dabei für Sie leitend?

Die Gemeinde ist ein Ort, wo unterschiedliche Meinungen Platz haben, ein Ort der Toleranz. Leute von linken und rechten Flügel sollen willkommen sein in der Vrijburg, Sozialisten, Christdemokraten und Liberale. Wir sollen die Meinung eines jeden tolerieren und bereit sein, eine offene Diskussion zu starten. Ich bin froh beobachten zu können, dass dies in Vriburg der Fall ist.

Gibt es Gespräche und Diskussionen nach der Predigt der Politiker?

Ja, danach bleiben wir noch etwa eine halbe Stunde zusammen. Besonders junge Menschen mögen diesen Austausch. Und die Politiker sind froh, ein feed – back zu bekommen.

Ist es für Ihre Gemeinde auch möglich, atheistische Politiker zur Predigt einzuladen?

Unsere nächste Sprecherin im Gottesdienst gehört zur Partei D66, einer links – liberalen Partei, sie ist Mitglied im Europa Parlament, ihr Name ist Sophie in t Veld. Sie bekennt sich ganz offen zum Atheismus. Aber das heißt doch nicht, das sie sich nicht auch von Bibeltexten inspirieren lässt oder von der christlichen Tradition. Es ist faszinierend mit ihr über diese Themen zu diskutieren. Dabei weiten sich die Perspektiven, für mich und für sie. Frau in t Veld wird über die Trennung von Kirche und Staat in Europa sprechen. Für uns als Remonstranten ein wichtiges Thema, wurden wir doch selbst einst verfolgt als Minderheit. Wir wissen bescheid, wenn es um den Einfluss bestimmter Kirchen auf den Staat geht. Damit meine ich ja nicht, dass der Staat völlig indifferent gegenüber den Religionen sein sollte. Religion bedeutet vielen Leuten doch einiges und kann doch eine Quelle sein für soziales Handeln.

Ergänzung von Christian Modehn: 2011 wurde Frau in ‚t Veld in Oslo mit dem International Humanist Award der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union ausgezeichnet. Diese Ehrung galt ihrem Einsatz für die Rechte von Frauen und homosexuellen Menschen. Sie kümmerte sich zudem um den Aufbau der europäischen Plattform für säkulare Politik „European Parliament Platform for Secularism in Politics“.

Die Gemeinde Vrijburg in Amsterdam ist unter dieser website erreichbar!